"Der Körper mit seinen Muskeln, seiner Haut, den Knochen, dem Nerven-, Kreislauf-, Hormon- und Eingeweidesystem funktioniert und interagiert als komplexes System. Wie ein Gefäß enthält er unseren Geist und unsere Seele; er enthält unsere Geschichte und ist Grundlage und Ausgang unseres einzigartigen, individuellen Erlebens. (Franz Rieger)

Trauma

"Wundenkunde"

Das Wort "Trauma" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Wunde".  Der daraus abgeleitete Begriff "Traumatologie" wird als "Wundenkunde" bezeichnet. Sie ist die Lehre, die sich mit dem Entstehen und den Auswirkungen  von Verletzungen sowie deren Verhütung und  Therapie beschäftigt. Damit sind sowohl körperliche als auch – im Falle der Psychotraumatologie -  seelische Wunden gemeint.

Die offizielle Definition eines Traumas beschreibt ein Ereignis, welches die psychische und physische Belastungsgrenze eines Menschen überschreitet und somit nicht adäquat verarbeitet werden kann. Die Flut von Informationen und Impulsen wirkt zu schnell, zu plötzlich und zu heftig auf Körper, Geist und Seele und führt so zu einer Vielzahl von Reaktionen auf diesen drei Ebenen.

Aufgrund der vielen Verknüpfungen im System Mensch ist von einer Traumatisierung nicht nur das bewusste Erleben betroffen. Der  amerikanische Psychologe Peter A. Levine ist einer der anerkanntesten Traumaspezialisten der Welt. Die Erkenntnisse seiner 35-jährigen Forschung fasst er wie folgt zusammen: „Trauma befindet sich im Nervensystem und nicht im Ereignis. Ich wage zu behaupten, dass in der Welt in der wir leben, niemand vor einem Trauma geschützt ist".

Traumatisch kann im Laufe eines Menschenlebens vieles sein: ein über das normale Maß hinausgehendes Geburtstrauma, schwere Unfälle, häufige Operationen, Zerrüttung der persönlichen Verhältnisse, lang anhaltender körperlicher und seelischer Stress aber auch Gewalterfahrungen und psychische Misshandlungen.


Das Trauma liegt nicht im Ereignis (Peter Levine)

Entscheidend ist  - nach Levine – jedoch nicht das eigentliche Ereignis, sondern ob unser Nervensystem in der Lage ist, nach der jeweiligen Situation wieder zu seiner normalen Funktion zurückzufinden. Sofern dies der Fall ist, wirkt ein Erlebnis nicht dauerhaft traumatisierend und hat weiterhin keinen Einfluss auf das Gleichgewicht im System.

Gelingt die Rückkehr zum normalen Rhythmus jedoch nicht, wirkt das Trauma als Über- oder Unteraktivierung im Nervensystem und den damit verschalteten Geweben, Drüsen und Organen fort. Dank der enormen Kompensationsfähigkeiten unseres Körpers muss dies nicht zwangsläufig sofort zu einer deutlich wahrnehmbaren Symptomatik führen. Vielmehr ist es die Summe der traumatischen Erfahrungen unseres Lebens, die früher oder später zur Entwicklung eines Krankheitsbildes führen kann – dann häufig durch einen Auslöser, der vom Betroffenen selbst als nicht besonders gravierend eingestuft wird. So hat dann der berühmte letzte Tropfen das vorher schon bis zum Rand gefüllte Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.

Viele Menschen haben eine solche „Traumakarriere“ durchlaufen, bevor sie mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern zum Therapeuten kommen. Ob dies erst im höheren Lebensalter oder bald nach der Geburt und im Heranwachsen der Fall ist, ist individuell verschieden. Einflussnehmende Faktoren sind die jeweilige Konstitution und das persönliche Lebensumfeld ebenso wie die Summe und Schwere der traumatischen Situationen.

Um also zur Ursache der Krankheit zu gelangen, bedarf es einer gründlichen Betrachtung der Lebens- und Leidensgeschichte des Patienten. Es kommt dabei nicht allein auf die Symptome, auf die Oberfläche einer Erkrankung an, sondern auf den Boden, auf dem sie wurzelt. Nur dort kann Veränderung und Heilung geschehen und dann ein neuer Zustand der Balance gefunden werden.